Verkündigung des Kreuzes nach Auschwitz Vorwort Mitarbeit an diesem Heft (1981): Edna Brocke, M.A., Moers; Hans Helmut Grebing, Pfarrer, Friedrichsdorf; Hermann Hickel, Pfarrer i.R., Ensheim; Dieter Lenz, Pfarrer, Frankfurt; Ulrich Schwemer, Pfarrer, Frankfurt; Lisa Lotte Vogel, Frankfurt Um den Stellenwert des Karfreitags innerhalb des Kirchenjahres gab es in der Kirche schon häufig Auseinandersetzungen. In der protestantischen Kirche galt und gilt er weithin auch heute noch als der höchste evangelische Feier-tag. In der Geschichte der christlichen Kirche war aber dieser Karfreitag immer auch ein spannungsgeladener Tag für die Juden, die Angst haben mußten vor Übergriffen. Der Vorwurf des Gottesmords durch die Juden war im Mittelalter bis hinein in die beginnende Neuzeit ein will-kommender Vorwand, an den beneideten, in ihrer eigenen Kultur den Christen unverständlichen Menschen den eigenen Haß zu befriedigen und dem Neid ein Ventil zu schaffen. Viel ist inzwischen geschrieben worden über die religiösen Wurzeln des Antisemitismus und über die christliche Schuld an Auschwitz. Die Kirche hat wenn auch zögernd, ihre Schuld an den Juden bekannt. Aber hat die Erfahrung des Holocaust unsere Verkündigung des Karfreitag verändert? Haben wir Konsequenzen daraus gezogen, daß gerade die Verkündigung des Karfreitag die Gefahr in sich birgt, "den Juden" als Feindbild aufzubauen? Die vorliegende Arbeitshilfe möchte Anregungen geben, die Thematik des Karfreitag so zu behandeln, daß nicht offensichtlich oder unterschwellig die Juden als Täter abgestempelt werden. Da das Gottesknechtlied Jes. 52/53 in der Verkündigung des Karfreitag eine besondere Rolle spielt, steht dieser Text im Mittelpunkt der theologischen Überlegungen und eines Teiles der liturgischen Entwürfe und Predigten. Wir haben versucht dieses Heft so zu gestalten, daß es immer wieder neu am Karfreitag benutzt werden kann, es ist also nicht abgestimmt auf einen bestimmten Predigttext innerhalb der Perikopenreihe. GRÜNDONNERSTAG Ein Abendmahl
am Gründonnerstag in Erinnerung an das Passahmahl, PFARRER Wir gedenken heute der Einsetzung des Abendmahles durch Jesus. Wir wollen versuchen nachzuempfinden, was damals geschah. Jesus feierte das Passahmahl mit seinen Jüngern,wie es alle Juden an diesem Abend taten. Sie saßen mit ihren Familien am Tisch. Auch wir sitzen heute abend im Halbrund um den Tisch, auf dem die Abendmahlsgeräte stehen, der Wein und in Erinnerung an das ungesäuerte Brot des Passahfestes die Mazzen. Das sonst so entrückte Abendmahl wollen wir heranholen an unser Denken und Reden an diesem Abend. Die Traditionen des Passahmahles können uns helfen, unser Abendmahl wieder besser zu verstehen. PFARRER GEMEINDE LEKTOR PFARRER Nachdem die Familienglieder von der Synagoge zurückgekehrt sind, beginnt die Sedermahlzeit, das besondere Passahmahl. Der Vater
sagt: Das jüngste Kind stellt traditionsgemäß die Fragen, die die Erzählung vom Auszug aus Ägypten einleiten. Wodurch unterscheidet sich diese Nacht von allen andern Nächten? Jede andere Nacht essen wir beliebig gesäuertes und ungesäuertes Brot, die-se Nacht nur ungesäuertes; jede andere Nacht genießen wir jede Art Kraut nach Belieben, die-se Nacht Bitteres; jede andere Nacht sind wir nicht gehalten auch nur einmal einzutauchen, und diese Nacht zweimal; jede andere Nacht wird gespeist sitzend oder angelehnt, diese Nacht sitzt alles angelehnt. LEKTOR GEMEINDE PFARRER oder
LEKTOR "Vom frühen Morgen an lerne ich die 'vier Fragen'. Als Jüngste bin ich es, die sie dem Vater stellen muß. 'Ach, jedes Jahr machst du dieselben Fehler!' sagt mein Bruder gereizt. Es ärgert ihn, daß er mich die 'vier Fragen' abhören muß. 'Und warum sind es jedes Jahr dieselben Fragen?' In meinem Kopf schwirren nicht vier, sondern vierzig Fragen, die ich Vater stellen möchte. Aber versuch einmal Vater auszufragen! Jetzt ist Vater nicht zu Hause, also kann ich fragen: 'Papa, warum wirst du am Seder auf ein-mal König? Warum ist das am zweiten Feiertag schon vorbei? Warum sitzt am Seder nicht der Prophet Elias neben dir? Er ist doch sicher auch ein König, sein Becher ist ja der größte und schönste. Warum bleibt sein Becher unberührt mitten auf dem Tisch? Warum kommt er nicht, wenn wir die sieben Plagen hersagen? Warum ißt er nicht mit uns und warum gehen wir erst nach dem Abendessen ihm die Tür öffnen und ihn rufen? Warum verspricht er uns: 'Nächstes Jahr in Jerusalem'? Jedes Jahr dasselbe Versprechen, und er selbst versteckt sich im Dunkel der Nacht! Warum? Warum? Das Haus ist von Unruhe erfüllt. Ich gehe behutsam, als lasteten wie ein Krug eine Menge Fragen auf meinem Kopf. Ich sage sie leise vor mich hin, damit sie sich nicht verflüchtigen. Oben im Eßzimmer herrscht allgewaltig der Feier-tag. Von einer Wand bis zur anderen ist der Tisch ausgezogen. Ein weißes Seder-Tischtuch liegt im stummen Licht von roten Weingläsern. Leuchter schimmern, hohe, weiße, noch nicht angezündete Kerzen ragen in die Luft. Selbst die Zimmerdecke leuchtet im Widerschein der blank geputzten Ketten der Hängelampe. Kleine Berge geweihter Mazza sind in Servietten wie in Gebetsmäntel gehüllt. Auf den Stühlen liegen große, weiße Kissen und betrachten von unten herauf verschämt die Mazzot. Als erste kommt Mama in ihrem Feiertagskleid herein. Ihr Gesicht strahlt. Mit ihrem hochfrisierten Haar scheint sie noch größer als sonst. Das Kleid ist weit, lang, mit Spitzen, Knöpfchen, Bändchen übersät. Es reicht bis zum Fußboden, rauscht durch den ganzen Raum. Sie tritt zu den Kerzen, zündet sie an, umfängt sie mit beiden Händen, als wolle sie mit den Lichtern zugleich den ganzen Tisch segnen. Es wird warm und hell, als seien nicht nur Mutters. sieben Kerzen angezündet, sondern Hunderte von Lichtern. Ihr warmes Feuer umfängt den kalten Glanz des Tischtuches, so wie sie selbst eben erst von Mamas Händen umfangen wurden. Nun kommt der Vater aus der Synagoge. Ich er-kenne ihn kaum. Ein neuer Vater! In der Tür steht ein König, von Kopf bis Fuß in Weiß gehüllt. Er verliert sich in seinem weiten, weiß-seidenen Überrock. Die weiße Seide schimmert, fällt in dichten Falten herab. Der breite Gürtel hält sie zusammen. Die langen, weiten Ärmel hängen wie Flügel herab und bedecken Hände und Finger. Ein weißseidenes Käppchen glänzt auf seinem weißen Haar. Ganz in Weiß, sieht Vater größer und breiter aus. Sein Gesicht strahlt noch mehr. Es ist, als ginge ein weißer Schein von ihm aus. Bei der leisesten Bewegung würden ihn seine Ärmel wie Flügel erheben. Ich betrachte sein Gesicht. Heute ist er doch ein König! Der Seder beginnt. Vater nimmt das ganze Kopfende des Tisches ein. An seine weichen Kissen gelehnt, sitzt er wirklich wie ein König auf seinem Thron. Die anderen folgen ihm nun zu Tisch. Sie stoßen sich, rücken Stühle heran, setzen sich. Manche sitzen auf hohen Kissen, als schwebten sie in der Luft. Vater hebt als erster seine Serviette von dem Teller mit den vorgeschriebenen Speisen und wirft einen scharfen Blick darauf. Mama schaut gespannt hin. Sie denkt: 'Fehlt auch nichts?' Auf Vaters geweihten Mazzot stecken, wie Moos auf einem alten Dach, bittere Kräuter, daneben liegt ein Häufchen Meerrettich, ein gebratenes Hühnerhälschen, ein hartgekochtes Ei. Die anderen Seder-Teller, die ebenso zusammen-gestellt sind, wie der des Vaters, werden enthüllt. Die Flasche wird über den Tisch gereicht, geneigt, und das rote Kelchglas des Propheten Elias, soeben noch still und nachdenklich an seinem Platz, wird bis zum Rand mit Wein gefüllt. Der Wein beginnt zu schäumen. Mir schwindelt der Kopf von dem starken Duft, der den Bechern entsteigt. Plötzlich scheinen unter den gesenkten Köpfen, aus den Seiten der Haggada hervor, wie ein leichter Wind die ersten Segenssprüche empor-zuwehen. Ich sitze, wie immer, in meinem Winkel zwischen Vater und Mutter. Durch Vaters Kissen ist mein Platz noch enger als sonst. Hitze steigt aus ihnen auf, ich ersticke fast. Mein Kopf ist schwer vom Wein, die Kissen ziehen mich an la-den mich ein, meinen Kopf auf die weichen Daunen zu legen, aber ich weiß: nach den ersten Gebeten wird Vater sich zu mir beugen, als müßte nicht ich ihm die vier. Fragen stellen, sondern er mir. Schon gibt er mir ein Zeichen. 'Nun, also ... die Fragen?' Plötzlich herrscht Stille. Alle schauen mich an. Ich verstecke mein Gesicht in der Haggada. Vor meinen Augen und in meinem Kopf dreht sich alles. Ich folge mit dem Finger den Zeilen, möchte die tanzenden Buchstaben in Reih und Glied stellen. Ich schlucke leer, zittere vor meiner eigenen Stimme: 'Was ist diese Nacht unter allen anderen...' Vater bläst mir leise ein. Ich glaube vom an-deren Ende des Tisches her ersticktes Lachen zu hören. Das verwirrt mich noch mehr. Mühselig komme ich Zeile um Zeile vorwärts, aber die Fragen geraten durcheinander. Ich hatte sie doch so gut gelernt und ich hätte soviel zu fragen! Kaum habe
ich das letzte Wort ausgesprochen, ertönt ein Schrei der Erleichterung.
Alle fühlen sich befreit und stürzen sich auf ihre Haggada. (Bella Chagall, Brennende Lichter, Hamburg 1966, S. 191-202 in Auszügen) PFARRER Wir hören drei Zeugnisse aus dem christlichen Bereich. (entnommen aus: G. Kugler, Forum Abendmahl, Gütersloh 1979, S. 32 - 36) LEKTOR Ich hörte
der ermahnenden Vorbereitung mit tiefer Sammlung zu. Aber als der Prediger
das Ritual las: 'Wer unwürdig isset von diesem Brot oder trinket
von diesem Wein, der ißt und trinkt sich selber das Gericht', -
da überfiel mich ein tödlicher Schreck. Als er danach die Versammelten
fragte, ob ein jeder seine Sünden aufrichtig bereue und zum Tisch
des Herrn mit dem Wunsche gehe, losgekauft zu werden durch sein Blut,
und alle fest mit 'Ja' antworteten, war ich so bestürzt, daß
mir das Wort auf den Lippen erstarb. Ich zitterte und litt Höllenpein.
Wir verließen die Kirche, mir schwamm alles vor den Augen wie ein
Traum. Meine Mutter und Schwestern waren ruhig und heiter. Die Unterhaltung
am Abend war wie alle Tage; man sprach gar nicht von dem Vorgegangenen
noch von dem am folgenden Tag Bevorstehenden. Man schien gar nicht daran
zu denken, daß man am Vorabend eines furchtbaren Gerichts stand,
das für die Ewigkeit entscheiden konnte, während ich gebeugt,
vernichtet war unter der furcht-baren Verantwortung, mit der man meine
Seele beladen hatte. War ich würdig, von diesem Brot zu essen, von
diesem Wein zu trinken? War ich so fest im Glauben, wie es die Kirche
verlangte? Hundertmal war ich auf dem Punkte, zu rufen: Nein, nein, ich
bin nicht würdig; ich liebe die Welt, die Sonne, die Erde, die Blumen,
die Vergnügungen, die Jugend, die Schönheit. Ich kenne das Mysterium
der Erwählten nicht; ich begreife nicht, warum in mir zwei Wesen
sind, das eine gut, zur Seligkeit fähig - das andere verloren und
verurteilt für ewig... PFARRER Wenn ich
so zurückdenke, waren wir alle eigentlich sehr aufgeregt. Manche
machten sogar Witze darüber, wie z.B.: 'Fange bloß nicht zu
schmatzen an!' Oder: 'Hänge dich nicht zu tief in den Becher.' Das
sind nur einige. Aber wenn man dann an die Reihe kam, vergaß man
diesen ganzen Blödsinn, und man fand es eigentlich doch ziemlich
feierlich. LEKTOR Dann kam
unser Abendmahlsonntag, und nun war ich doch sehr in Not. So, wie unsere
Sache stand, konnte ich nicht am Abendmahl teilnehmen, das war mir klar.
Einfach daheim bleiben konnte ich aber auch nicht, denn ich hatte Dienst
an diesem Sonntag, d.h. ich hatte beim Austeilen des Abendmahles zu helfen.
Und dieser Dienst, der für mich sonst immer eine große und
schöne Sache war, stand nun plötzlich wie eine bedrohliche Wand
vor mir. Wie konnte ich am Altar stehen, mit offenen Händen das Abendmahl
austeilen, von der Freundlichkeit und Liebe Jesu sprechen und mich selbst
dieser Freundlichkeit und Liebe entziehen, mich innerlich verschließen
hinter den Mauern meiner Unversöhnlichkeit? Das war ganz unm.öglich!Und
ich fühlte mich sehr in die Enge getrieben, weil ich wußte,
der einzige Ausweg war der Weg zu Frau B.. Und gerade diesen Weg wollte
ich nicht gehen. Ich ging ihn dann doch, schweren Herzens. Frau B. hat
es mir nicht leicht gemacht in unserem Gespräch - und trotzdem war
ich sehr er-leichtert danach und befreit. Und ich konnte ohne Angst und
mit großer Ruhe und Freude zum Abendmahl gehen. GESPRÄCH GEMEINDE PFARRER EINSETZUNGSWORTE AUSTEILEN DES ABENDMAHLES PFARRER GEBET, aus der Pessach Haggada Der Allbarmherzige,
er wird über uns regieren ewiglich! Der Allbarmherzige, er sei gepriesen
Im Himmel und auf Erden! Der Allbarmherzige, er sei gelobt von Geschlecht
zu Geschlecht, er werde durch uns verherrlicht immerfort und von uns hochgepriesen
immerdar und in alle Ewigkeiten! Der Allbarmherzige, er wolle uns ehrenvoll
ernähren! Der Allbarmherzige, er wolle das unseren Nacken drückende
Joch zerbrechen und uns So wie unsere
Väter, Abraham, Isaak und Jakob, in allem mit allem und allenthalben
gesegnet werden, so wolle er auch uns alle segnen mit einem vollkommenen
Segen! VATER UNSER
LIED: EKG
309, 1 - 3 EINGANGSPSALM (dem 51. Psalm nachempfunden) Gott sei
mir gnädig nach deiner Güte. SÜNDENBEKENNTNIS Wir haben
es schon immer gewußt: Das unscheinbare
Leben Jesu, Wir bekennen: Erbarme dich. LIED: EKG 176, 1 + 2 GNADENZUSPRUCH Immer hat Gott seinen Gläubigen den Weg der Umkehr offengehalten. Das macht uns Mut, auch nach unserem Versagen und falschem Verhalten, nach verursachtem Unrecht und Überheblichkeit auf Gottes Gnade zu hoffen. Gott bietet uns seinen Bund neu an, wie er ihn mit seinem Volk immer wieder neu schloß. KOLLEKTENGEBET Gott, in dieser Stunde wollen wir die festgefügten Meinungen und wohlbehüteten Standpunkte verlassen. Wir wollen uns einlassen auf die Unsicherheit des Kreuzes. Die Verzweiflung und die Schmerzen deines Sohnes machen alle Glaubenssicherheiten zunichte. Führe uns zu der Hoffnung, die auch Enttäuschungen, Nieder-lagen und Einsamkeit bestehen kann. LIED: EKG 66, 1 - 4 Predigt über Jesaja 52/53 LIED: EKG 69, 1 - 3 FÜRBITTE Herr Gott, am Kreuz hat Jesus die Treue des Glaubens bewährt. Er erwies sie in der Stunde des Todes und wurde uns zum Vorbild. Oft haben wir dies vergessen und setzten lieber auf Macht und Reichtum. Im Leiden Jesu und im Leiden der vielen Gottesknechte, die um des Glaubens willen verfolgt und geschmäht wurden, erfahren wir, daß sich wahrer Glaube im Leiden bewährt. Wir bitten dich für alle Menschen, die in Unterdrückung leben. Gib ihnen in allem Leiden Mut, den Ruf nach Gerechtigkeit nicht verstummen zu lassen. Gib den Vertretern unserer Kirche Kraft, den Schwachen zur Seite zu stehen und sich mit aller Kraft gegen das Unrecht ein-zusetzen. Besonders bitten wir dich heute für: (hier können aktuelle Fürbitten eingefügt wer-den) Wir bitten dich für alle, die in politischen Systemen leben, in denen sie ihren Glauben nicht frei entfalten können. Stärke sie in ihrem Kampf um ihren Glauben und bewahre sie vor Erstarrung, daß sie auch in ihrer Umwelt ihre Aufgaben entdecken und wahrnehmen. Wir bitten dich für die, die nach Rasse und Hautfarbe eingeteilt werden. Laß uns ihnen bei-stehen und allen Versuchen wehren, die Menschheit in bessere und schlechtere Menschen ein-zuteilen. Wir bitten dich heute besonders für das jüdische Volk, zu dem Jesus gehörte. Laß deine Verheißungen weiter an deinem Volk wirksam werden. Erhalte es in seinem Land und seine Glieder in der Zerstreuung. Bewahre es vor Verfolgungen aus rassischen oder religiösen Gründen. Zeige ihm seinen Weg zu einem gerechten Zusammenleben mit seinen Nachbarvölkern. Wir bitten dich auch für uns selbst. Hilf uns, unseren Glauben in Bescheidenheit und Geradlinigkeit zu leben. Verhindere bequeme Kompromisse. Mache uns leidensfähig, wenn unser Wider-stand gefordert ist.
PREDIGT
über Jesaja 53, 1 - 5 Liebe Gemeinde, "Aber wer glaubt unsrer Predigt, und wem wird der Arm des Herrn offenbart? Denn er schoß auf vor ihm wie ein Reis und wie eine Wurzel aus dürrem Erdreich. Er hatte keine Gestalt noch Schöne; wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte. Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, daß man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn nichts geachtet. Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf daß wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt." Diese Worte gehören eigentlich zu jedem Karfreitag und wir vergessen dabei ganz, daß der Prophet Jesaja, der sie sagte, in einer ganz anderen Zeit hunderte von Jahren vor Jesus gelebt hat, und seine Deutung damals auf das Leiden seines Volkes im babylonischen Exil vornahm. Dennoch, Jesus hat diesen Text gekannt, Jesus hat sein eigenes Leiden, sein eigenes Kreuz, so dürfen wir annehmen, von diesem Text her zu verstehen versucht. Er hat versucht in der Aussage über das stellvertretende Leiden für andere den Sinn seines Todes am Kreuz zu erkennen. Aber was haben sie aus diesem Leiden gemacht, aus dieser Treue, die diese Gottesknechte vor Jesus und nach Jesus und Jesus selber bewahrt haben. Ihre Treue stand für die, die nicht kräftig genug waren, im Leiden auszuhalten. Was haben wir daraus gemacht? Wie oft sind wir nicht die, die bekennen, daß Jesus für uns gelitten hat. Vielmehr stehen wir auf der Seite derer, die, wie es in dem Text heißt, das Leiden verkehrt auslegen, die das Leiden des Gottesknechtes zu erkennen meinen als die Strafe Gottes, die auf ihm liegt. Auch heute sagen Christen, das Leiden des jüdischen Volkes, selbst das Leiden in Auschwitz ist die Strafe Gottes für die Kreuzigung Jesu. Aber sind nicht vielleicht sie die Gottesknechte die stellvertretend leiden, die stellvertretend Treue bewahren? Aber damit nicht genug, wir stehen oft nicht nur auf der Seite derer, die das Leiden der anderen verkehrt auslegen. Nein, ich glaube, wir stehen allzuoft auch auf der Seite derer, die die Wunden zufügen, die die Nägel in das Kreuz schlagen, die andere festnageln wollen mit den eigenen Überzeugungen. Wir fügen Leid zu und sind unfähig, das Leid als Treue gegen-über Gott zu betrachten. Die Botschaft des Kreuzes wird durch unseren Hochmut verdunkelt. Sie wurde oft verdunkelt in der Geschichte unserer Kirche von Anbeginn an. Mit welcher Härte und Lieblosigkeit führten unsere Väter in der frühen Kirche ihre Dogmenkämpfe aus. Mit welcher Härte haben sie Argumente ausgetauscht bis hin zu tatsächlich geschwungenen Knüppeln auf der sogenannten Räubersynode. Im Mittelalter eroberten Christen ein anderes Land im Namen des Kreuzes. Wie oft wurde hier die Botschaft des Kreuzes in ihr Gegenteil verkehrt. Es hat einmal jemand gesagt: Da haben Menschen das Kreuz von der anderen Seite her genommen an dem kurzen Stiel und es verdreht zum Schwert. (vgl. Andre Schwarz-Barth: Der Letzte der Gerechten) Und auch heute noch fällt es der Kirche schwer, sich auf die Seite der Leidenden zu stellen. Die Leiden Jesu galten mehr und mehr als überwunden. Darüber redet man, aber man redet vom Triumph her. Die Geschichte ist darüber hinweggegangen, die Kirche ist mächtig geworden. Aber statt das eine Kreuz zu bedenken, hat die Kirche viele Kreuze her-vorgebracht. Wenn unser Glaube noch lebendig bleiben soll, wenn er noch wert sein soll, verkündigt zu werden, dann ist es Zeit, Schuld zu bekennen, Schuld des Hochmuts, Schuld der Überheblichkeit, Schuld des zugefügten Leides. Wenn wir diese Schuld nicht bekennen, wenn wir nicht fähig sind, in uns zu gehen, uns auf unsere Schwäche zu besinnen, dann stirbt unser Glaube unter der Last der vielen Kreuze. Es geht um die Treue, die auch in der Schwäche sich bewährt, die nicht nur in der Stärke zum Aus-druck kommt. Wieviele Christen aber lieben heute noch mehr die starken Worte, wieviele Christen fordern noch heute immer wieder Rache für erlittenes Unrecht, wieviele Christen sind noch heute immer wieder für die Todesstrafe. Der Glaube bleibt so lange widerlegt, solange wir nicht fähig sind zu leiden. Ich glaube wir können uns heute nur damit trösten, daß es _immer wieder Menschen gab, die stellvertretend für uns und für unsere starken Worte geglaubt und gelitten haben. Daß immer wieder leidende Gcttesknec:hte die Stellvertretung für uns über-nahmen. Die Juden litter.. und glaubten stellvertretend für uns in Auserw.itz. Sie waren für uns der Gottesknecht. Wir müssen da neben den Juden auch nennen das stellvertretende Leiden von Jehovas Zeugen, die in der Stunde des Bekenntnisses ins Dr tten Reich zu den wenigen gehörten, die bis ins Gefängnis hinein den Wehr-dienst verweigert haben. Stellvertretend für uns geglaubt haben einige wenige Christen. Ob es der Pater Maximilian Kolbe war, der im Konzentrationslager Auschwitz für einen zum Tode in dem Hungerbunker Verurteilten sich selber zum Tod hingegeben riet. Oder oh es Dietrich Bonhoeffer war, der konsequent seinen christlichen Glauben vertreten hat. Sie alle haben stellvertretend für uns geglaubt. Das kann uns vielleicht Mut machen. Das stellvertretende Leiden und Glauben ist nicht eine Sache die wir uistarisch in Jesus einmal abgeschlossen betrachten können. Der Mut zum Weiterglauben findet seine Kraft da-rin, daß diese Stellvertretung schon immer stattgefunden hat und bis zum heutigen Tage stattfindet. Aber diese
Stellvertretung des Glaubens muß uns auch Mut machen, selber deutliche
Worte zu sprechen, wo Unrecht in dieser Welt geschieht. Und das kann sehr
vielfältig sein. Vielleicht müssen wir Christen heute deutlicher
gegen die Rachegedanken all derer angehen, die immer noch nicht fähig
ist, Strafe an Verbrechern anders als unter dem Rachebedürfnis zu
betrachten.. Wir Christen müssen unsere Aufgabe erkennen in der Resozialisierung
von Strafgefangenen und in der Abwehr von allen Gedanken, die die Todesstrafe
wie-der einführen möchten. Wir Christen werden deutliche Worte
sagen müssen, gegen menschenverachtende Diktaturen oder gegen Gesellschaften
die noch immer Menschen in Rassen einteilen wollen, die noch immer Menschen
nach 1. und. 2. Klasse aufgliedern. Die Auslegung von Jesaja 53, die Verkündigung
vom stellvertretenden Leiden Chri'ti ist nicht mit Jesus an ihr Ende gekommen,
nein, sie ist damit für uns erst zu ihrem Anfang gekommen. Und wir
werden immer wieder neu dieses stellvertretende Leiden in unserer Welt
erkennen müssen und selber bereit sein stellvertretend zu leiden
für die die sich nicht wehren können. |
Startseite |